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Oswald von Wolkenstein, streitbarer Ritter und singender Dichter

Der Minnesang und Oswald von Wolkenstein

Im Mittelalter blühte auf den Burgen Tirols - wie im gesamten europäischen Raum - der Minnesang. Die Gestalt des Ritters und seine "minne" stand im Mittelpunkt, der Gesang richtete sich ursprünglich aber nicht an die persönliche Geliebte des Dichters, sondern an die Frau des Dienstherren. Die Verehrung der "frouwe" war ein Spiel, verwandt etwa mit der ritterlichen Form des Turniers. Die Dame, dem der Ritter huldigte, war nicht erreichbar, sein Gesang deshalb auf Klage gestimmt. Die Leistung des einzelnen Dichters liegt nicht in der Originalität, sondern in der Variation eines vorgegebenen Musters. Doch das Ritual des Minnesangs änderte sich mit Walther von der Vogelweide (1170-1230), dessen Dichtung nicht mehr Standeskunst, sondern Ausdruck einer persönlichen Gestimmtheit war. Seine Lieder waren nicht mehr Dienst an der Frau, sondern Ausdruck gegenseitiger Zuneigung; so wurden individuelle Gefühle erstmals dem konventionellen Minnedienst entgegengestellt. Neben Minneliedern schuf Walther so genannte Spruchdichtungen, das sind frühe politische Schriften, die zum politischen Kampf aufriefen oder in der Auseinandersetzung zwischen Papst und Kaiser Stellung bezogen. Aufgrund seiner politischen Sprüche kann man Walther als den ersten Journalisten bezeichnen. Einige Indizien sprechen dafür, dass Walther von der Vogelweide aus Südtirol stammte, doch ist seine Herkunft nicht vollständig geklärt und da und dort Anlass für ungerechtfertigte patriotische Vereinnahmungen. Wo auch immer aber er herkam, seine Liedkunst fand jedenfalls in Tirol viele Nachfolger: etwa Leuthold von Säben, Walther von Metz und der Burggraf von Lienz; auf dem Gebiet der Spruchdichtung sind besonders Freidank und Friedrich von Sonnenburg zu nennen.

Mit Walther von der Vogelweide aber wirklich zu vergleichen ist nur Oswald von Wolkenstein. Der Wolkensteiner, wie er auch vielfach genannt wird, gab dem Minnesang am Ende des Mittelalters eine völlig neue Note. Die Dichtung wird bei ihm unmittelbarer Ausdruck des Erlebten, jeder höfischen Formel entkleidet kristallisiert sich erstmals ein künstlerisches Bekenntnis heraus. Krieg, Liebe, Werben, das Verlangen nach Abenteuer gleichermaßen wie die Sehnsucht nach Heimat werden zum Ausgangspunkt der Schrift und des Gesangs. Der rituelle Minnesang ist jetzt direkte, auf eine bestimmte Frau bezogene Liebesdichtung und enthält sich auch nicht jeder Erotik oder Frivolität. Heimat ist nicht mehr bloß ein abstrakter Begriff, sondern ein konkretes Erlebnis auf der Burg Hauenstein, die Oswald von Wolkenstein bewohnte. Was Oswald als Reiterknecht und im diplomatischen Dienst, im Kerker oder auf der Pilgerfahrt ins Heilige Land erlebte, es fließt direkt in seine Dichtung ein, macht diese lebendig - von poetisch fein bis kraftvoll und derb - und damit auch für uns heute noch lesbar. Tatsächlich ist es Oswald von Wolkenstein, nicht zuletzt, weil er den Typus des ungezähmten, eigenwilligen Tirolers und ein widersprüchliches Verhältnis zum eigenen Land verkörpert, der zeitgenössische Künstler in Tirol noch anzuregen vermag, so etwa die Autorin Anita Pichler ("Wie die Monate das Jahr", Erzählung 1989) oder den bildenden Künstler Markus Vallazza (Oswald-Radierzyklus).

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